Meine lieben Freunde des wandernden Geistes,
so stehe ich denn, fern der heimischen Stube, auf dieser uralten Insel im mittelländischen Meer, und die Weihnacht naht auch hier – leiser vielleicht, doch nicht minder tief. Sardinien empfängt den Reisenden nicht mit prunkvollen Glocken, sondern mit dem ernsten Atem der Berge, dem salzigen Wort der Brandung und dem stillen Blick der Hirten, die seit Jahrtausenden dieselben Pfade gehen.
Wenn ich des Abends aus dem Fenster meiner Herberge sehe, so glimmt kein Tannenbaum, doch der Himmel selbst entzündet seine Lichter. Die Sterne scheinen näher, als wollten sie uns mahnen, dass wir Reisende sind – nicht nur von Land zu Land, sondern von Tag zu Tag, von Gedanke zu Gedanke.
Weihnachten, so dünkt mich, ist weniger ein Ort als ein Zustand der Seele. Hier, wo die Zeit langsamer schreitet und die Steine älter sind als unsere Sorgen, lernt man erneut zu lauschen. Dem Wind. Dem eigenen Innern. Und jenem leisen Drängen, das uns Menschen stets vorwärts treibt – nicht fort, sondern hin zu uns selbst.
Die Sardinier teilen ihr Brot, ihren Wein und ihre Geschichten ohne großes Wort. In dieser schlichten Gastfreundschaft liegt eine Wahrheit, die uns in den Städten leicht entgleitet: Dass Gemeinschaft nicht aus Überfluss, sondern aus Zuwendung geboren wird. Dass Wärme nicht allein aus dem Feuer, sondern aus dem Blick des Anderen stammt.
So wünsche ich Euch, daheim oder in der Ferne, eine Weihnacht des wachen Herzens. Möge Euch das Fremde nicht ängstigen, sondern bilden. Möge das Vertraute Euch nicht binden, sondern tragen. Und möget Ihr, wohin auch immer Euch der Weg führt, ein Stück Heimat in Euch selbst entdecken.
Mit reisendem Gruß aus dem Süden,
Euer
J. W. G.

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